Romane / Erfahrungsberichte



"Das alles ist Familie"

Eine Geschichte von Michael Engler mit Bildern von Julianna Swaney,
erschienen bei arsEdition GmbH in 2021

„Das alles ist Familie“ erzählt die Geschichte von Lars, der ein Päckchen auf dem Bürgersteig entdeckt, als er mit seiner Mama vom Einkaufen zurückkommt. „An Familie“ steht darauf. Der Name ist vom Regen verwischt und unlesbar. Gemeinsam mit Lisa aus der Nachbarschaft macht Lars sich auf den Weg, herauszufinden, wem das Päckchen wohl gehören mag. Auf ihrer Suche lernen sie ganz unterschiedliche Familien kennen, in all ihren bunten Facetten und der Vielfalt unserer Gesellschaft.

Familien bestehen also nicht nur aus Mama und Papa, sie können genauso aus Mama und Mama oder Papa und Papa oder eben aus nicht leiblichen, sondern Adoptiveltern zusammengesetzt sein. Auch Patchworkfamilien gibt es. Aber sind ein Papa und seine Tochter ebenfalls eine Familie? Oder Lars und seine Mama? Lars´ Eltern haben sich vor kurzem getrennt, weshalb er den Eindruck hat, nun keine Familie mehr zu sein. Aber was macht Familie eigentlich aus?

Das Bilderbuch inspiriert auf liebevolle Weise, über das Wesen von Familie nachzudenken, und lädt ein, miteinander darüber zu sprechen, was Familie für uns bedeutet. Familie ist eben weit mehr als Mama, Papa, Kind. Diese Vielfalt macht Mut.

Das Buch eignet sich sowohl zum Vorlesen wie auch zum Selberlesen. Die zarten Bilder von Julianna Swaney sind liebevoll gestaltet. Auf den letzten Seiten sind alle in der Straße lebenden Familien nochmals abgebildet und ihre Konstellation beschrieben. Sogar ein leerer Bilderrahmen befindet sich dort, in dem Platz ist für ein Foto der Leserin und ihrer Familie.

„Das alles ist Familie“ ist bei arsEdition 2021 erschienen und kostet 15 Euro.

Sonja Martin
TuSch



Es wird alles anders bleiben

Valerie Wilson Wesley  (übersetzt von Gertraude Krüger)
Diogenes: Zürich 2001

Eva und Hutch sind seit zehn Jahren verheiratet. Beide sind Mitte 40, haben jeweils ein Kind mit in die Ehe gebracht, die aber inzwischen auch schon erwachsen sind. Sie sind nicht reich, haben aber auch keine großen finanziellen Sorgen.
Der Alltag ist Routine, Hutch führt das geerbte kleine Bauunternehmen seines Vaters, Eva arbeitet in der Bibliothek, sieht sich aber als Künstlerin, die ein Malatelier im ausgebauten Dachgeschoss ihres Hauses besitzt.
Das Leben plätschert so vor sich hin, beide langweilen sich ein wenig, haben sich nicht viel zu sagen und gehen sich immer öfter auf die Nerven.
In einer heißen Julinacht brütet Hutch stundenlang vor sich hin und fasst einen Entschluss: Er steigt hier aus, er wird dieses leere Leben ohne prickelnde Höhepunkte verlassen, und zwar jetzt sofort. Kurz entschlossen zerrt er einen Koffer aus dem Schrank, teilt der ahnungslos bereits im Bett liegenden Eva mit, dass er hier raus müsse, weil es zwischen ihnen einfach keine Freude mehr gibt.
Eva schwankt zwischen Unglauben und Belustigung. Ist dies das Ergebnis einer männlichen Midlifekrise, oder ist ihr sonst so besonnener Mann plötzlich übergeschnappt? Besonders besorgt ist Eva zuerst einmal nicht, eher verwundert. Sie ist der festen Überzeugung, dass Hutch bald wieder vor der Tür stehen wird, zerknirscht und über sich selbst entsetzt.
Aber Hutch erscheint nicht, weder nach einer noch nach zwei oder drei Wochen, und Eva wird allmählich sehr, sehr wütend. Was fällt ihm eigentlich ein, sie so schlecht zu behandeln? Nachlaufen wird sie ihm nicht, sie wird ihr Leben ganz ihren eigenen Bedürfnissen anpassen und sich wieder mehr ihren eigenen Interessen und Ambitionen widmen.
Wie Eva und Hutch mit dieser Ehekrise umgehen, welche Erlebnisse und Erfahrungen sie getrennt voneinander machen, wie unterschiedlich sie damit umgehen, schildert dieser Roman.

Ausgespart wird auch nicht die Reaktion der Umwelt: Wie gehen die Kinder mit der veränderten Situation um, wie weit mischen sich Freunde und Arbeitskollegen ein? Wie laufen die ersten Kontaktaufnahmen nach der Trennung ab, wie viel wird in jede Handlung, jedes Wort hineininterpretiert?

Valerie Wilson Wesley erzählt mit genauer Beobachtungsgabe und immer wieder aufblitzendem Humor die Geschichte einer Trennung am Beispiel von Eva und Hutch.


Die Ehefrau

Meg Wolitzer (Übersetzer: Stephan Kleiner), DuMont: Köln 2016

Joan Castleman sitzt mit ihrem Mann Joe in einem Flugzeug Richtung Finnland als sie beschließt, ihn zu verlassen. In Helsinki soll ein lang ersehnter, mit großem Prestige versehener Literaturpreis sein schriftstellerisches Werk krönen und natürlich ist Joan, wie bei allen öffentlichen Auftritten, an seiner Seite.
Während der viertägigen Reise lässt sie die Zeit, die sie gemeinsam verbracht haben, Revue passieren. Was ist in all den Jahren mit der hoffnungsvollen neunzehnjährigen Studentin geschehen, die sich geschmeichelt und geehrt fühlte, von ihrem jungen gutaussehenden Dozenten wahrgenommen zu werden, der ihr eine große schriftstellerische Karriere vorhersagte? 45 Jahre und drei Kinder später steht sie immer noch freundlich lächelnd neben ihm, wenn er in bester Stimmung die Lobpreisungen für seine Romane entgegen nimmt. Daran haben auch die vielen, vielen Seitensprünge Joes nichts geändert.

Meg Wolitzer nimmt uns mit auf eine Reise durch die Jahrzehnte, von den 50er Jahren bis ins neue Jahrtausend. Sie lässt uns durch Joans Überlegungen am Verlauf einer langjährigen Ehe, an Joes langsamen, aber stetigen Aufstieg im Literaturbetrieb teilhaben, aber vor allem an den Erwartungen und Haltungen, mit denen Frauen und Männer konfrontiert werden.

Am Beispiel des Ehepaares, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis lässt Wolitzer Joan über die unterschiedlichen Möglichkeiten nachdenken, wie Lebensentwürfe gestaltet werden. Sehr aufmerksam, mit trockenem Humor und oft mit wenigen Worten lässt sie Situationen entstehen, die jeder Frau bekannt vorkommen.

Joan kommt zu dem Schluss, "jeder braucht eine Ehefrau; eigentlich brauchen selbst Frauen eine Ehefrau. Ehefrauen kümmern sich....“. Aber mit 64 Jahren will Joan genau das nicht mehr: eine kümmernde, sich sorgende Ehefrau sein.


Girl on the Train - Du kennst sie nicht, aber sie kennt dich.

Paula Hawkins (Übersetzer: Christoph Göhler) | Blanvalet: München 2015

 

Wie viele andere Pendler auch steigt Rachel jeden Morgen in den Zug, der sie in die Innenstadt bringt und fährt jeden Abend wieder zurück. Der Zug bremst immer an derselben Stelle stark ab und gibt ihr damit die Gelegenheit, einen Blick auf die Häuserzeile zu werfen, in der sie damals mit ihrem Mann Tom gelebt hat. Da es zu schmerzlich ist, ihr altes Zuhause zu betrachten – in dem Tom immer noch wohnt, nun aber mit einer anderen Frau -, konzentriert sie sich auf die Bewohner ein paar Häuser weiter.
Das junge Ehepaar wirkt glücklich, so wie sie und Tom es auch einmal waren. Rachel fühlt sich den beiden nahe, stattet sie mit Namen und Beruf aus und ist sich bald sicher, dass sie die Stimmung und Gefühle der beiden bereits aus der Entfernung einschätzen kann. Als sie eines Tages die Frau einen fremden Mann küssen sieht, ist Rachel empört, was sich allerdings in Sorge verwandelt, als sie kurz darauf in der Zeitung liest, dass die Frau spurlos verschwunden ist.
Leider ist Rachel nicht die beste Zeugin, sie trinkt oft mehr als ihr gut tut und lässt sich dann zu Handlungen hinreißen, die ihr am nächsten Morgen sehr unangenehm sind. Aber sie glaubt fest daran, dass ihre Beobachtungen hilfreich sein können und macht sich auf die Suche nach Beweisen.

Erzählt wird der Thriller aus drei Perspektiven, zu Wort kommen Rachel, die später verschwundene Megan und Toms neue Frau Anna. Die Sichtweisen der Frauen könnten nicht unterschiedlicher sein, was einen großen Reiz der Geschichte ausmacht und zeigt, dass ein und derselbe Vorfall durchaus unterschiedlich interpretiert werden kann. Spannend!


Göttergatten. Was Männer wirklich über ihre Frauen denken

Martina Rellin  |  Diana Verlag : München 2010


Männer reden nicht gerne über Gefühle und drücken sich vor Gesprächen über Beziehungen. Soweit zumindest die landläufige Meinung.

Aber heißt das auch, dass Männer sich keine Gedanken machen?

Die Journalistin Martina Relling hat mit 17 Männern Gespräche geführt und hat ihnen Raum gegeben, ihre Überlegungen zu ihren Frauen, ihrer Ehe, zu ihren Wünschen und Bedürfnissen zu formulieren. Männer aus den unterschiedlichsten Berufen im Alter von 29 bis 71 Jahren kommen hier zu Wort, mit Kindern und ohne Kinder, schon lange verheiratet oder erst ein paar Jahre, manche zufrieden mit ihrer Ehe, andere nicht. Einige berichten über gemeisterte Krisen, andere sind bereits getrennt und reflektieren im Nachhinein, was schief gelaufen ist.

Gedanken gemacht haben sie sich alle, über sich selbst, aber auch über ihre Frauen. Sie erzählen engagiert und humorvoll aus ihrem Beziehungsalltag, erkennen Qualitäten an und können durchaus auch an ehemaligen Partnerinnen positive Aspekte sehen. Sie sparen nicht mit Selbstkritik, aber auch nicht mit Kritik an den Frauen. Vor allem die als überhöht erlebten Ansprüche, das ständige Fordern nach verändertem Verhalten führt zu Konflikten und irgendwann zu einem schweigendem Rückzug. Nicht aus den Augen gerät dabei aber ihr Interesse: Wenn die Partnerin absolut nicht für sportliche Aktivitäten begeistert werden kann, ziehen sie allein los oder schließen sich einem Sportverein an, wenn ihre Freunde zuhause nicht willkommen sind, treffen sie sie eben heimlich, wenn Sex an Bedeutung verliert, gibt es an anderer Stelle durchaus Gelegenheiten. Männer, zumindest die hier zu Wort kommenden, sorgen gut für sich. Aber sie möchten ebenfalls, dass ihre Frauen Verantwortung für ihr eigenes Wohlbefinden übernehmen. Nichts ist anstrengender als eine Partnerin, die erwartet, dass der andere für das eigene Glück verantwortlich ist.

Die Geschichten sind von Frau Rellin gut lesbar zusammengestellt worden, in der einen oder anderen findet sich sicher ein Wiedererkennungseffekt, regt zum Nachdenken über die eigene Situation an oder lädt auch ab und zu zum Schmunzeln ein.


Als er für immer ging

Nicci Gerrard  |  Ehrenwirth: Bergisch Gladbach, 2006


Irene und Adrian, ein Ehepaar mit drei kleinen Töchtern, haben es nicht leicht. Das Leben funktioniert, aber es funktioniert nicht gut. Irene ist überlastet mit Beruf, Kindern und Haushalt, während Adrian sich überflüssig fühlt und sich zudem allmählich eingestehen muss, dass es mit seiner Schauspielkarriere nicht allzu gut bestellt ist.

Die Stimmung im Hause hebt sich erst, als Adrian neuen Mut fasst und aktiver wird. Er ist viel unterwegs, um neue Aufgaben anzugehen, kleidet sich wieder sorgfältiger, ist insgesamt fröhlicher und kümmert sich mehr um seine Töchter. Irene freut sich darüber, solange, bis sie den Grund der Wandlung erfährt: Adrian ist verliebt und verlässt sie. 

Irene ist verzweifelt, traurig, mutlos, aber auch zornig. Adrian ist hin- und hergerissen zwischen dem neuen verlockenden Leben und der Zuneigung, die er noch immer für Irene hat. Wegen der Kinder bemühen sich beide um einen sachlichen Umgang, doch der gelingt nicht immer.

Während der Sommerferien, die die Kinder mit ihrem Vater verbringen, macht Irene sich auf den Weg nach Frankreich, um neue Pläne für ein Leben ohne Adrian zu fassen.

Der erste Teil des Romans schildert die Entfremdung Irenes und Adrians und spiegelt bei der Trennung das bekannte Auf und Ab der widersprüchlichen Gefühle beider Seiten.

Schade nur, dass dies Nicci Gerrard zu wenig Stoff erschien, so dass sie die Frankreichreise mit allerlei unnötigen dramatischen Komplikationen bereicherte.

Wer über den zweiten Teil großmütig hinwegsehen kann, findet in der ersten Hälfte eine leichte, aber gelungene Lektüre über das Scheitern einer Ehe.

Warnung für sensible Gemüter: Taschentuch bereit halten!


Die erste Frau. Das Protokoll einer verlassenen Frau.

Francoise Chandernagor  |  Malik/Piper: München 2000


Die 50-jährige Catherine wird nach fünfundzwanzig Jahren Ehe und vier Kindern gegen eine Jüngere eingetauscht. Catherine ist wie erstarrt. Schon lange wusste sie, dass es auch andere Frauen im Leben ihres Mannes gab, vertraute aber darauf, dass sie - die Ehefrau - etwas Besonderes für ihn war und das zwischen ihnen bestehende Band nicht durch seine Affären gefährdet würden.

Nach und nach erfahren wir die Geschichte dieser Ehe, einer offenen Ehe à la de Beauvoir und Sartre, deren Offenheit allerdings nur von einem genutzt wurde. Seite um Seite kommen Demütigungen ans Tageslicht und es stellt sich die Frage: Alles ertragen im Namen der Liebe?

'Die erste Frau' ist eine sezierende Schilderung von Catherines Schmerz, ihres Verlustes, ihrer Wut, ihrer Hoffnungslosigkeit und trotz allem ihrer Liebe zu dem Mann, mit dem sie diese vielen Jahre verbracht hat.


Sinkflug

Dorothea Fremder  |  Fischer, Frankfurt, 2000


Carola ist Mitte vierzig und seit zwanzig Jahren verheiratet, als sie erfährt, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer anderen Frau hat. Hermann möchte beides, die Ehe aufrechterhalten und seine Verliebtheit ausleben. Carola versucht zu verstehen, ist verletzt, kämpft, muss sich aber irgendwann eingestehen, dass sie nicht mehr im Mittelpunkt von Hermanns Aufmerksamkeit steht. 

Dorothea Fremder schildert Carolas Verwirrung, die Fragen, die sie beschäftigen und denen sie nachgeht, die Suche nach Lösungsmöglichkeiten, auch nach ihrer - bisher nie in Frage gestellten - Autonomie. 

Daraus ist eine sensible Schilderung über das schleichende Ende einer Ehe geworden, in der es durchaus noch Zuneigung gibt, und die trotzdem nicht mehr so ist wie sie einmal war. Aber keine Sorge: "Sinkflug" ist trotz der Ernsthaftigkeit des Themas kein trauriger Roman, dafür sorgt schon der Humor, der an vielen Stellen aufblitzt.